Zwölfter / Dreizehnter Tag:


 Masuren

Endlich scheint sich ein stabiles Hochdruckgebiet zu etablieren. Langsam haben wir uns das aber auch verdient! Nach einem kurzen Frühstück in unserer kleinen Küche wollen wir heute die masurische Seenplatte erkunden. Masuren, Land der Panjewagen, der Alleen, schnatternder Gänse, klappernder Störche, blühender Mohn und Margeriten, wogender Kornfelder, so die romantische Vorstellung aus dem Reiseführer. Teilweise stimmt das Bild, allerdings muss man sich heute gewaltig anstrengen, um noch die typischen Panjewagen zu finden, die allmählich modernerem landwirtschaftlichem Gerät weichen mussten. Was allerdings richtig ist, ist die Naturbeschreibung: Oft menschenleer laden ca. 3000 Seen zu allen erdenklichen Formen der Freizeitgestaltung ein, man kann Wisente beobachten und in urwaldähnlichen Wäldern und Sümpfen herumstapfen, Burgen und Schlösser besichtigen.

Lötzen....

 Masuren in Kürze:

Die Masuren sind eine End- und Grundmoränenlandschaft mit Erhebungen bis max. 312m über dem Meeresspiegel. Im Nordosten von Polen, im Süden des ehemaligen Ostpreussen gelegen, als Teil des ehemaligen Preussischen Landrückens. Es ist ein reizvolles Wald- (besonders Kiefern) und Seengebiet (Nationalpark Masurische Seen, die größten sind der Spirdingsee mit 113,8 km2, der Mauersee mit 104,4 km2). Es dominieren Fremdenverkehr, Fischfang und Forstwirtschaft; sowie hauptsächlich Landwirtschaft auf wenig ertragreichen Böden. Die Bevölkerung (Masuren) entstand aus einer Mischung von altpreussischen, masowischen und deutschen Kolonisten, wobei die masowische Komponente überwog; sie sprach eine polnische, mit deutschen Lehnwörtern durchsetzte Mundart, ging aber im 19. und 20.Jahrhundert immer mehr zur deutschen Sprache über.
Bis zum 13.Jahrhundert war Masuren von den baltisch-prussischen Stämmen der Galinder und Sudauer schwach besiedelt. Die Sudauer wurden 1278 - 83 vom Deutschen Orden unterworfen und nach Samland umgesiedelt. Im 15./16.Jahrhundert riefen der Deutsche Orden und die preussischen Herzöge v.a. masowische Siedler ins Land (Abschluss der Kolonisation erst im 18.Jahrhundert). Im Ersten Weltkrieg fanden in Masuren die Schlachten bei Tannenberg (26.31.8. 1914), an den Masurischen Seen (6. - 14.9. 1914) und die Winterschlacht (7. - 27.2. 1915) statt. In der Volksabstimmung vom 11.7. 1920 erklärte sich die Bevölkerung mit 97,5% für den Verbleib beim DeutschenReich. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel das Gebiet 1945 unter polnische Verwaltung; die Zugehörigkeit zu Polen wurde durch den Deutsch-Polnischen Grenzvertrag von 1990 anerkannt.


....ein beschauliches Städtchen,....

....der Hafen
Nachdem wir Lötzen einen ausführlichen Besuch abgestattet haben, fahren wir auf kleinen Strässchen und Alleen kreuz und quer durch die nördlichen Masuren. Teilweise sind die Strassen gepflastert, teilweise asphaltiert und teilweise fährt man noch über den Betonbelag aus den Dreissiger Jahren. Die Sonne strahlt jetzt, man ist angetan von der besonderen Stille der Landschaft und dem unglaublichen Licht, das die Gegend verzaubert. Ich kann jetzt die Liebeserklärungen der zahlreichen Literaten an die unvergleichlich schöne Umgebung verstehen, die sie in Erzählungen, Romanen und Gedichten der masurischen Landschaft gewidmet haben. Wir sind von der Ruhe angesteckt und gleiten dahin ohne zu rasen, obwohl die Kurven schon zu flotter Fahrweise einladen. Kleine Dörfer liegen auf unserem Weg. Auf einem Dorfplatz , dem ehemaligen Ort Rosengarten, heute Radjieje, halten wir, und sofort sind wir von Kindern und Erwachsenen umringt, die das Gespräch suchen. In gebrochenem Deutsch radebrecht ein älterer Mann, der uns das übliche woher und wohin fragt.

Ein masurisches Dorf
In Ketrzyn, dem früheren Rastenburg, besichtigen wir die ehemalige Ordensburg der Deutschritter, heute ein Museum, das mit einigen schönen Exponaten aus der Ritterzeit aufwartet, leider alles auf polnisch, und die Stadtgeschichte Rastenburgs darstellt sowie die Georgskirche, ein Backsteinbau aus dem 14. Jh. Kurz hinter der Stadt sehen wir ein Schild: ' Ruiny kwatery Hitlera', die ehemalige Wolfschanze. Wir haben lange überlegt, ob wir dieses Zeugnis der grössten Katastrophe Mitteleuropas des 20. Jh. besichtigen sollen und beschlossen, einen Blick darauf zu werfen. Die Befürchtung, hier auf Busladungen von Ewiggestrigen zu stossen, erweist sich als unbegründet und nach einer kurzen Pause beginnen wir den Rundgang durch die hitlerschen Hinterlassenschaften. Gleich zu Beginn des Rundweges steht ein Denkmal zu Ehren des Oberst Graf Schenk von Stauffenberg und des Widerstandes vom 20. Juli 1944. Ansonsten sind die gesprengten Anlagen ein furchtbares und monströses Andenken aus Stahlbeton, wie sie mitten im idyllischen Wald auf grosser Fläche hier verstreut liegen. Mit den damals darüberliegenden Tarnnetzen mussten die Nazigrössen wohl in andauernder Dunkelheit hier ihre Zeit gefristet und dabei das Ende Europas betrieben haben. Ein trauriger Ort, den sich die Natur nur langsam zurückerobert hat. Die Menschen, die wir hier treffen, es sind hauptsächliche junge Polen, verhalten sich still und es ist nicht nur die bekannte Geschichte, die diese gedämpfte Stimmung hervorruft, sondern auch die vielen Trümmer, die dem Ort etwas Schauriges verleihen. Wir bleiben auch nicht lange, sondern entfliehen zurück in die Sonne zu unseren Bikes.

Wolfschanze

Georgskirche Rastenburg

Ehemalige Ordensburg Rastenburg
Rastenburg musste für die Nähe zur Wolfschanze gegen Ende des zweiten Weltkrieges einen bitteren Preis zahlen, die Stadt wurde von den anrückenden Sowjets in Schutt und Asche gelegt. Westlich von Rastenburg liegt Swieta Lipka (Heiligelinde), eine südländisch anmutende Barockkirche, die ebenso einen Besuch wert ist, wie Szyntort, das ehemals ostpreussische Steinort, die Heimat der Dönhoffs. Hier befindet sich die schönste Allee Masurens aus alten Eichenbäumen. Mitten in einem kleinen Dorf sehen wir ein Denkmal aus dem ersten Weltkrieg, die Geschichte begleitet uns hier auf Schritt und Tritt. Die alten Schlösser des preussischen Adels, die man von der Strasse kaum sieht, befinden sich z.T. in jämmerlichem Zustand, kein Wunder nach Jahrzehnten des Verfalls.

Eichenallee bei Steinort

Für Gott, Kaiser und Vaterland....

Kleine, kurvige Strässchen

Störche....

....Schwäne....

....und immer wieder stille Seen

Ein seltenes Panje-Gespann

....
Nach den vielen Besichtigungen und der ausgedehnten Rundtour durch die nördlichen Masuren, sind wir froh über die Pension, die wir bewohnen: Unsere Wäsche wurde von der überaus gastfreundlichen Wirtin bereits gewaschen, die Bikes können wir auf einem grossen Platz warten. Hier stellt sich heraus, dass die Antriebskette der Transalp nach nur 18.000 Km fertig ist, sie längt ungleich und ist nicht mehr ordnungsgemäss zu spannen. Wie das passieren konnte, ist mir unverständlich, aber es hilft nichts, wir müssen für Ersatz sorgen. Nachdem Honda im Gegensatz zu Suzuki, nicht in der Lage war, auch nur eine einzige Werkstatt in Osteuropa zu benennen, kann das ja heiter werden. Aber hier erweisen sich unsere Herbergswirte wieder einmal als helfende Engel. Sie telefonieren mit einigen Biker-Bekannten und schon haben wir eine Werkstatt in Ostroda (Osterode), die wir anfahren können. Da wir kein polnisch können, schreiben sie uns einen Brief, den wir mitnehmen und der alles Nötige enthält, um unser Problem verständlich machen und lösen zu können. Es sei ihnen nochmals unser herzlichster Dank ausgesprochen! Morgen geht es weiter Richtung Westen.


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