Elfter Tag:


 Kaunas - Marijampole - Gyzicko (Lötzen) - Wilkasy (Wolfsee) (223 Km)

Nach einem ausgiebigen Frühstücksbuffet werden die Bikes wieder bepackt und wir fahren hinunter in die Altstadt, dort machen wir lange Gesichter, denn ausser den Kirchen hat heute alles geschlossen, die Stadt ist zudem menschenleer. Unsere Besichtigungswünsche können wir also getrost beerdigen. Kein Wunder, denn nach dem Sonnwendfest müssen die Herrschaften erst einmal ausschlafen. Zusätzlich ist Sonntag. Also gehen wir noch ein paar Schritte durch die Innenstadt. Vor der Garnisonskirche sitzen eine ganze Reihe von ärmlichen alten Mütterchen, die sich ein paar Litas von den Kirchgängern erwarten und wir spenden ihnen ein wenig Geld. Das Wetter ist noch recht gut, die Sonne lässt sich durch den erneut wieder bewölkenden Himmel hin und wieder sehen. Also, wir kennen das zwischenzeitlich, das mit dem schlechten Wetter!
Trocken überqueren wir die Memel in westlicher Richtung und nach einem Tankstopp am Stadtrand von Kaunas, fahren wir auf der Landstrasse A5 Richtung Polen, genauer gesagt Richtung der Stadt Marijampole, die wir nach etwa 60 Kilometern erreichen.

Abschied von Kaunas, die Zilinskas-Galerie

Marijampole

Lkw-Stau an der Grenze
In einem kleinen Café machen wir eine Pause und studieren die Landkarte. Hier ereignet sich eine Begegnung, die mir lange im Gedächtnis bleibt: Als wir unseren Kaffee schlürfen kommt eine völlig zerlumpte Gestalt in einem zerfetzten Pelzmantel in das Café. Es ist ein kleines Männlein, sein Alter ist schwer zu schätzen, über 60 wahrscheinlich. Was mir sofort auffällt, sind die gütigen Augen, die trotz der Armut, die seine Existenz kennzeichnet, voller Liebenswürdigkeit über einem derangierten Gebiss dreinblicken. Er will sich etwas von der unwirschen Bedienung erbetteln. Ob er was bekommen hat, weiss ich nicht, denn als ich das restliche lettische Geld aus dem Beutel gekramt habe, das ich nicht mehr brauche, ist er so plötzlich verschwunden wie er aufgetaucht war. Nein, Armut nimmt dem Menschen seine Würde nicht, das führt mir diese kurze Begegnung wieder vor Augen, ich werde diese lachenden Augen im Gedächtnis behalten.

Plattenbauten: Suwalki
Wie befürchtet hat sich der Himmel komplett zugezogen und wir müssen wieder mit Nässe rechnen. Also rein in die Regenklamotten. Marijampole ist eine Kleinstadt ohne nennenswerte Highlights und wir verlassen den Ort Richtung Staatsgrenze. Kurz davor regnet es endlich wieder in Strömen und wir passieren einen 12Km! langen Lkw-Stau, der Grossteil des Ost-West-Transitverkehrs geht hier durch und die Trucker müssen wohl Tage warten, bevor sie abgefertigt werden. Die Einreise nach Polen dauert nur etwa 20 Minuten, die Zollstation ist, verglichen mit den Vorherigen, doch deutlich grösser und moderner. Das gleiche Bild hat man hinter der Grenze, alles wirkt etwas moderner und neuer, als in Litauen. Etwa 20 Km hinter der Grenze erreichen wir Suwalki, das ehemalige Sudauen. Im zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört, bietet die Stadt heute wenig zu sehen, mit Ausnahme der Alexanderkirche und einigen neoklassizistischen Bauten. Allerdings beginnt hier ein Naturparadies, die Masuren. Rund um Suwalki liegen etwa 200 unberührte Seen.

Westlich Suwalki: Masurische Seen

Wilkasy: Unterkunft mit Seeblick

Abendstimmung in den Masuren
Wir verlassen hier nach einem Tankstopp die Strasse Nr. 19 in westlicher Richtung und fahren auf kleinen Landstrassen bis Olecko (Treuburg). In der Umgebung dieses ansonsten nicht sehr aufregenden Städtchens spielt übrigens die Erzählung von Lenz 'So zärtlich war Suleyken'. Die Strässchen ziehen sich an den masurischen Seen entlang, führen durch kleine Dörfer und durch grünen Wald. Am späten Nachmittag erreichen wir die Stadt Gyzicko, vormals Lötzen, das inmitten der nördlichen masurischen Seen liegt. Es liegt auf einer Landzunge zwischen dem Löwentin- und Kisain-See. Die Stadt präsentiert sich zweigeteilt: Zum Einen findet man das Gesicht einer ehemals preussischen Provinzstadt mit kleinen und schmucken Häusern, zum Anderen überzieht das realsozialistische Einheitsgrau auch hier die Vororte. Lötzen ist heute einer der Hauptorte des Tourismus in den Masuren, v.a. viele Deutsche, von den Einheimischen etwas despektierlich 'Heimwehtouristen' genannt, kommen in ihre alte Heimat um sich hier noch mal umzusehen, oder wiederholt Ferien zu machen. Im Stadtzentrum findet man jede nur erdenkliche Form von Bernstein, der hier vermarktet wird, sowie mehr oder weniger echte Volkskunst. Neben dem hübschen Zentrum ist v.a. der Hafen eine wichtige Einrichtung. Alle erdenklichen Formen von Wassersport können betrieben werden auf der etwa 60 qKm grossen Seenfläche, die durch mehrere Flüsse und Kanäle das Seensystem bis weit in den Süden miteinander verbindet. Besichtigenswert ist auch die Boyen-Festung, ein wuchtiger Bau aus dem 19. Jh., das den Deutschen im 1. Weltkrieg den Sieg über die Russen in Ostpreussen ermöglichte. Wir suchen heute Quartier und haben vor, die Stadt morgen zu besichtigen. Wenige Kilometer hinter Lötzen, in Wilkasy finden wir direkt am See eine kleine Pension. Als wir läuten, öffnet eine freundliche junge Frau und wie es sich herausstellt spricht sie perfekt deutsch. Sie hat noch zwei Zimmer, die wir für die nächsten Tage beziehen. Noch kurz am Mopped die Kette gefettet und wir sind bereit, ein wenig die Gegend zu erkunden. Am Abend essen wir bei einem Polnisch-Kanadier, der jeweils im Sommer in sein kleines Hotel an den Masuren kommt um mit dem Tourismus, der sich hier (Gott sei Dank?) nur sehr langsam entwickelt, sein Geld zu verdienen.


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