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Als wir auf den Parkplatz vor dem ehemaligen Lager Auschwitz I einbiegen, bin ich etwas überrascht und auch leicht irritiert über die Menschenmassen, die sich offensichtlich hier befinden. Ganze Busladungen bevölkern die Stätte. Allerdings merke ich bald, dass weder lautes Danebenbenehmen noch Rummel diesen Ort des Grauens entweiht. Trotzdem kann ich den Rundgang nicht in der Stille begehen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ausserdem fühle ich mich als Deutscher denkbar unwohl. Eine Last, die mich unbewusst drückt und die ich wohl bei solchen Gelegenheiten mein Leben lang verspüren werde, obwohl hierfür jeder rationale Grund fehlt. Das Unbehagen wechselt während der Besichtigung in blankes Entsetzen. Wie konnte hier in deutschem Namen, wie konnte aus einer der geachtetsten Kulturnationen der Welt heraus von Subjekten, die die Bezeichnung Mensch nur schwer verdienen - und doch nach aussen hin zumeist so normal schienen - jede Form von Zivilisation und Menschlichkeit zu Grabe getragen werden? Die Frage wird wohl unbeantwortet bleiben.
Ursprünglich war Auschwitz eine polnische Kaserne gewesen, dann wurde es bereits ab 1939, im Zuge der deutschen Besetzung Polens Straflager der SS. Nach Beginn des Russlandfeldzuges liess man erst zehntausende gefangener Rotarmisten verhungern, anschliessend wurde das Lager nach der Wannseekonferenz 1942 erweitert und zum Vernichtungslager mit angeschlossenem Industriekomplex (v.a. chemische Industrie der IG-Farben) ausgebaut. Dabei ging es immer deutsch korrekt und bürokratisch einwandfrei zu, wer arbeitsfähig war wurde geschunden oftmals bis in den Tod, wer nach einer medizinischen Begutachtung für lebensunwert erachtet wurde, ging sofort ins Gas, nur wenige haben diese Todesfabrik überlebt. Einen Überblick über die Geschehnisse von 1941-44 liefert das Verhörprotokoll des Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höss. Man betritt den Komplex durch das bekannte Lagertor
mit seiner zynischen Aufschrift 'Arbeit macht frei' an dem Platz, an dem
das 'Lagerorchester' den zur Zwangsarbeit gezwungenen Häftlingen
auf ihrem Weg in die Produktionsstätten ein Ständchen spielen
musste, sieht den Appellplatz, wo die Insassen stundenlang - auch im Winter
- stramm stehen mussten, den Erschiessungsplatz und die Vernichtungsstätten
inkl. Krematorium. Man kann alle Stationen, die ein Häftling zu durchlaufen
hatte, nachvollziehen. Jeder Insasse war auf Gedeih und Verderb der absoluten
Willkür seiner Peiniger ausgesetzt. Zur Eingruppierung und zur Erkennung
des Haftgrundes wurden neben den Tätowierungen mit der bekannten
'Auschwitz-Nummer' Stoff-Embleme verwendet, die jeder Lagerinsasse zur
Eingruppierung in Politische, Homosexuelle, Zigeuner, gewöhnliche
Kriminelle, Kriegsgefangene und Juden an der Jacke zu tragen hatte. Sklavenstempel,
die übrigens je nach Häftlingsgruppe oft genug Grund zu willkürlichen
Strafen oder gar Erschiessungen waren. Beeindruckend finde ich auch die
Berge von Hinterlassenschaften der Opfer: Riesige Haufen von Haaren, Brillen,
Koffern, Kinderschuhen usw., die wohl z.T. nach der Einrichtung des KZ
als Gedenkstätte und zumindest teilweise symbolisch ausgestellt werden.
Besonders perfide ist die 'medizinische Abteilung' des Lagers, wo perverse
Menschenversuche auch mit Kindern stattfanden. Ich möchte keine Zahlen
auflisten, sie sind hinreichend bekannt, auch die Bilder der Hinterlassenschaften
des Grauens möchte ich nicht fotografisch wiedergeben, was können
sie schon aussagen? Die Berge menschlicher Habseligkeiten, Kinderschuhe,
Brillen, Überbleibsel von hunderttausend Leben. Wer hierher kam ging
in ein perverses Strafsystem aus dem es kein Entrinnen gab. Ob der Menschheit im Bewusstsein der unsäglichen Leiden des letzten Jahrhunderts und im Angesicht der weiter stattfindenden täglichen Unmenschlichkeiten vielleicht mal ein Licht aufgeht - geht es mir durch den Kopf? Was für eine naive Vorstellung! Zieht sie doch mit immer perfideren Waffen, mit Gott, mit missbrauchten Religionen und im Namen von Freiheit und Recht von Krieg zu Krieg gegen Schurken, die vorher von den sog. Befreiern oft selbst gezüchtet wurden. Die Bilder einer pervertierten Soldateska aus dem Irak sind wohl jedem noch frisch im Gedächtnis - und sie ähneln in ihrer menschenverachtenden, erniedrigenden Machart denen der SS-Schergen auf geradezu gespenstische Weise. Homo sapiens sapiens.... ein Treppenwitz. Als ich wieder draussen bin, bin ich wie betäubt und setze mich erst mal für eine halbe Stunde in die Sonne. Der Kopf ist leer und die Seele schwer. Erst langsam finde ich wieder zu mir selbst. Die Besichtigung inmitten internationaler Gruppen, die schweigend, viele mit Tränen in den Augen, den Todesgang von Millionen nachgingen, hat mich tief bewegt. Man will laut schreien und bleibt doch sprachlos zurück, ratlos... |