E p i l o g  

Nachdem wir unsere Tour abgeschlossen hatten, waren wir von dem Gesehenen lange Zeit erschlagen und überwältigt. Es braucht tatsächlich eine geraume Zeit, bis man sich etwas erholt und das Erlebte verdaut hat. Noch Monate später fällt mir wieder ein neues Detail der Reise ein. Und gereist sind wir. Allerdings sehr komprimiert. Ein einziger, aber gravierender Kritikpunkt an unserer Tour ist sicher die kurze Zeitspanne, in der wir das Baltikum und Polen durchfahren haben. Hier werden wir uns in Zukunft mehr Zeit lassen müssen und ggf. die zu bereisenden Landstriche mehr eingrenzen. Die durchfahrene Landschaft bot alles: Stille Dörfer, Seen, Wiesen und Hügel, das Meer, aber auch grandiose Städte, die mit zu den aufregendsten kulturellen Orten Europas gehören. Hier haben wir eindeutig zu wenig Zeit gehabt.

Das Baltikum ist in seiner Vielfalt, durch die kulturellen Unterschiede seiner Bewohner bedingt, jedem Biker (und anders Reisenden) unbedingt als Reiseziel zu empfehlen. Neben der schönen Landschaft, die ausser auf Schotter- und Sandpisten, keinen nennenswerten Anforderungen an Mensch und Material stellt, sind die Städte für sich genommen eine Reise wert. Das wunderschöne Tallinn, die gewaltige Riesenstadt Riga, das kleine Kaunas, jede Stadt hat besondere Attraktionen zu bieten. Von besonderer Freundlichkeit waren die Menschen in Estland, aber auch in Litauen haben wir herzliche Begegnungen erleben dürfen. Einzig Lettland mit seinem gärenden ethnischen Konflikt, war hier nicht besonders auffällig, auf ablehnende Haltung sind wir aber nie gestossen. Man kann nur hoffen, dass sich dieser Konflikt nicht eines Tages blutig entlädt. Erwähnenswert ist auch der äusserst reizvolle, zweite Aspekt unserer Reise, die eine Reise in die Vergangenheit war: Die europäische und deutsche Geschichte, wobei klar wurde, dass die Jahrhunderte dauernde enge Verbundenheit Mitteleuropas, das diese Länder beherrscht, entwickelt, aber auch ausgebeutet hat, für (immer?) lange Zeit vorbei ist. Neben wenigen steingewordenen Zeugen und den Friedhöfen findet man kaum aktuelle Verbindungen zur Vergangenheit. Deutsch als Fremdsprache spielt so gut wie keine Rolle, englisch spricht man selten, in den Tourismusbüros aber eigentlich immer (ausser in Klaipeda, hier nur russisch und litauisch). Im Gegenteil: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass v.a. die junge Generation einem Beitritt ihrer Länder zur EU sehr kritisch gegenübersteht, da sie befürchten, nach der über Jahrzehnte andauernden sowjetischen Hegemonie, wieder von europäischen Mächten, v.a. von Deutschland, fremdbestimmt zu werden. Eine Ausnahme macht Estland: Hier ist in Tallinn das Deutsche Gymnasium die begehrteste Schule, die neben einer guten Ausbildung in Fremdsprachen, v.a. Zukunftschancen für die junge Generation in der EU bietet. Ganz anders sehen das naturgemäss die Älteren, die sich erst unter dem Schutz der EU vor dem übermächtigen Nachbarn Russland sicher fühlen. Sieht man die geschichtlichen Ereignisse des letzten Jahrhunderts im Baltikum, wird erst klar, wie unglaublich grausam und zerstörerisch dieses war. Beeindruckend fand ich die Unvoreingenommenheit uns gegenüber, die wir als Deutsche diesen Landstrich besuchten, denkt man an die furchtbare Hausse, die hier Wehrmacht und in deren Gefolge SD, Gestapo und SS veranstaltet haben, vor gerademal 60 Jahren, da erlebt man in Frankreich hin und wieder Anderes. V.a. im Baltikum und in Weissrussland, später dann in Polen, fand schliesslich die Vernichtung des europäischen Judentums statt.

Wir haben keinen Landstrich in unserer Reise, den wir nicht empfehlen können, einzig: Wir haben leider nur einen kleinen Ausschnitt 'erfahren' können.
Besonders zu empfehlen sind, neben den Städten, die Ostseeküste mit ihren langen leeren Sandstränden, die stillen grossen Binnenseen und natürlich Schotter- und Sandpisten, die es in Massen gibt, man muss nur die gut ausgebauten Hauptstrassen verlassen. Bezüglich Quartiersuche stellte sich nur Lettland abseits der Grosstadt Riga als kleines Problem dar, hier muss noch Einiges getan werden, Hotels die in Reiseführern angegeben waren, existierten nicht mehr, andere waren nicht zu finden, wieder andere waren in derart erbärmlichem Zustand, dass man es sich zweimal überlegt, hier zu nächtigen.
Moderne Tankstellen und ein enges Netz machen das motorisierte Reisen problemlos, Werkstätten sind allerdings rar, hier sollte man sich vorher Adressen besorgen, denn im Land kann das im Bedarfsfall, schon aufgrund der sprachlichen Barrieren, schwierig werden. Die Preise waren nicht mehr so billig, wie wir aufgrund der in den Reiseführern angegebenen dachten, es hat eine erhebliche Teuerung eingesetzt, teilweise erreicht sie schon westliches Niveau. Im Schnitt ist es jedoch noch deutlich billiger, als bei uns.

Das Wetter war durchschnittlich zu regnerisch für den Landstrich und auch eine von den Einheimischen beklagte Ausnahme: Alle Wetterstatistiken weisen bezüglich Durschnittstemperatur und Niederschlagsmenge ein erwartetetes sommerliches Wetter auf. Wir hatten einfach Pech.

Polen war in seiner Gesamtheit überwältigend. Dieses Land bietet unendlich viel an kulturellen Höhepunkten, an landschaftlichen Besonderheiten, die eine Reise zu einem Erlebnis machen. Von den stillen und abgeschiedenen Masurischen Seen mit ihrer reichen Flora und Fauna, mit ihren verschlafenen Dörfern, die sich langsam dem Tourismus öffnen, bis hin zu den auf geradezu phantastische Weise restaurierten Städten, die mit ihrer kulturellen Pracht die europäische Kultur erlebbar machen. Wir waren ein ums andere Mal entzückt. Möge der Massentourismus auf lange Zeit aussen vor bleiben! Aber auch hier hatten wir das Problem der fehlenden Zeit, das es uns verunmöglichte, mehr von dem Gebotenen mitzunehmen. Schliesslich haben wir spontan beschlossen, wiederzukommen - und zwar bald. Ein besonderer Reiz liegt sicher auch in der unmittelbar erfahrbaren Geschichte, die Deutschland mit diesen Landstrichen verbindet, die Überschneidung von sich gegenseitig befruchtenden, aber auch bekämpfenden Kulturen, über die Jahrhunderte hinweg. Die Menschen sind kontaktfreudig und freundlich. Was allerdings auffällt, ist der zeitweise hemmunglose Genuss stark äthylhaltiger Getränke: Nirgendwo sonst sind mir schon am frühen Vormittag so viele, um es freundlich zu formulieren, angesäuselte Individuen begegnet, wie in Polen.

Die Vorurteile, die man im Westen gegenüber diesen Ländern, die z.T. mit erheblichen Problemen zu kämpfen haben, kultiviert, können wir ungeachtet dessen nirgendwo bestätigen: Weder wurde uns, trotz der strichweise zu beobachtenden furchtbaren Armut, irgendwo etwas geklaut, noch auch nur Anstalten hierfür unternommen oder wurden wir angepöbelt, wie im deutschen Osten. Wir fühlten uns willkommen und sicher, wobei man auch nicht gerade blauäugig seine Utensilien frei herumliegen lassen sollte. Aber das gilt für jede westliche Grossstadt in gleicher Weise.

Bleibt zu hoffen, dass die aufstrebenden Länder des Baltikums und Polen in naher Zukunft den Anschluss an das politische Europa schaffen, hier sind noch einige Anstrengungen vonnöten. Ein Beitrag ist gewiss, dass zunehmend West- und Mitteleuropäer dieser Region gegenüber aufgeschlossener werden. Reisen kann hier ein nützlicher Beitrag zum gegenseitigen Kennenlernen sein.


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